13/10/2018
WARUM REITEN WIR?
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Habt Ihr Euch diese Frage schon einmal gestellt? Warum reiten wir?
Diese erste Antwort wäre wohl "Spaß".
Spaß für wen, ist dabei klar - für uns Reiter.
Denn unsere Pferde sind nicht dafür gemacht, Menschen auf ihren Rücken zu tragen, dafür sind ihre Körper nicht konstruiert worden.
Und doch wollen wir, dass auch unsere Pferde motiviert und freudig mitarbeiten.
Wenn wir sie also schon reiten, dann doch wenigstens so, dass wir ihnen damit nicht schaden, sondern etwas Gutes tun.
Aber so einfach ist das nicht, denn kein Pferd geht daher und denkt "Oh, jetzt geh ich ein Travers, das ist gut für meine Bauchmuskeln" ...
Also sollten wir nicht nur gesundheitsfördernd reiten, sondern vor allem anderen motivierend.
Unsere Pferde brauchen unser Reiten nicht, sie brauchen unser Müsli nicht und auch nicht unsere Kekse. Sie brauchen kein Schulterherein und keine Anlehnung.
Und doch fragen wir sie danach.
Wir bringen sie also in für sie vollkommen unnatürliche Situationen.
Und wozu? Zu unserem Vergnügen.
Pferde sprechen nicht unsere Sprache, verstehen viele unserer Fragen nicht (wie auch?) und wir erhöhen auch noch den Druck, wenn die gewünschte Reaktion nicht kommt?
So erreicht man sicher kein motiviertes Pferd und so gewinnt man erst recht keinen Freund.
Also wenn wir schon daher gehen und Tiere einsperren, die nicht dafür gemacht sind, eingesperrt zu werden, wenn wir sie reiten, obwohl ihre Körper dafür nicht konstruiert wurden, wenn wir Dinge von ihnen verlangen, die wider ihrer Natur sind, dann sollten wir ihnen doch eine Stimme erlauben.
Wir sollten zuhören und Zeichen erkennen. Wissen, wann es genug ist, wissen, wann Grenzen überschritten sind. Erlauben müssen, ihre Meinung auszudrücken.
Fragen stellen: "Kannst Du...?", statt "Du musst!".
Eine Freundschaft bieten, einen vertrauensvollen Raum schaffen, Liebe und Geborgenheit spenden, Ruhe ausstrahlen, zuhören. Pferdeflüstern heißt nicht, den Pferden etwas zu zuflüstern, sondern ihr Flüstern zu (er)hören.
Es sollte nicht darum gehen, dass ich Spaß habe. Das ist leicht, über ein Feld galoppieren macht mir Spaß, einen fliegenden Wechsel reiten macht mir Spaß, piaffieren macht mir Spaß.
Doch - macht das auch meinem Pferd Spaß?
Was mir immer am meisten Freude bereitet, ist Zeit mit meinem Pferd zu verbringen. Es zu beobachten, meine Hände in seinem Fell zu vergraben, seinen unvergleichlichen Pferdegeruch zu riechen. Zu kuscheln, neben ihm gemeinsam zu laufen und neue Dinge zu erkunden, es jeden Tag noch besser kennenzulernen, ein Team zu sein, sein Vertrauen zu spüren. Seine Motivation und Freude zu sehen. Und ich bin mir sicher, diese Dinge machen ihm auch Spaß.
Und hier liegt der Unterschied zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgang, zwischen "Bekannten" und "Freunden".
Zwischen "Ich muss mit Hengstkette spazieren gehen und ob ich mein Pferd von der Wiese geholt kriege ist Glückssache, aber wir können Galopp-Pirouetten reiten und mein Pferd kann sich auf Kommando verbeugen!" und "Mein Pferd galoppiert zwar keine Pirouette, aber auf der Wiese auf mich zu, folgt mir frei auf Schritt und Tritt und legt sich neben mir zum Schlafen hin.".
Nehme ich mir die Zeit, mein Pferd lesen zu lernen? Nehme ich mir die Zeit, meine eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen? Diese Fragen sollte sich jeder Pferdebesitzer einmal stellen.
Denn so sollte es in einer funktionierenden Beziehung doch laufen, oder? Gleichberechtigung, keine Unterdrückung, keine Dominanz, kein Zwang.
Sondern ein Dialog, Fragen, Wünsche.
Doch das ist schwer, das bedarf Geduld, Zeit und vor allem Selbstreflexion.
"Hätte ich nach den zwei tollen Runden Galopp besser aufgehört? Aber es hat so viel Spaß gemacht, da wollte ich nochmal...", wer kennt das nicht?
Halten wir uns einmal selbst den Spiegel vor. Reflektieren wir die Erfüllbarkeit unserer Erwartungen und vergleichen wir die Ansprüche und Prioritäten unseres Pferdes und unserer selbst.
Ich habe in den letzten Jahren viel an mir gearbeitet und habe die Beziehung zu meinem Pferd durch das Einstellen von Erwartungen unglaublich stark weiterentwickelt.
Also gehe ich jeden Tag ohne Erwartungen und ohne Vorgabe in den Stall. Ziel: Zeit zusammen verbringen und alles, was sich dabei ergibt ist toll. Wer genau plant, hat Erwartungen und will diese erfüllt wissen. Das lässt keinen Platz mehr für Spontanität, Intuition und Überraschungen.
Also: Weniger erwarten und mehr erreichen.
Und Augen auf - schaut hin.
Verlangt nicht zu viel, es geht nie um Wollen, sondern viel mehr um Können.
„Fragen, statt fordern.
Ab-, statt aufrüsten.
Staunen, was reicht.“
- Fabienne Lemke
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