29/12/2024
DIE NATUR ALS STÖRENFRIED
(... mit Obstipation schaffen Sie diesen Text aus dem Jahresheft des Palmengartens 2024 innerhalb nur einer Sitzung)
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Seit mehr als zehn Jahren sucht ein neuer Trend den deutschen Garten heim. Insbesondere den Vorgarten trifft es mancherorts hart – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Rede ist von Schottergärten. Als saubere, ordentlich aussehende und pflegeleichte Alternative zum bepflanzten Hortus wird der Schottergarten vom Baustoffhandel, Baumarkt, Gartencenter und GaLaService beworben. Pflegeleicht deswegen, weil er von Steinschüttungen dominiert ist. Steine aller Art und aus aller Herren Länder werden hier in 10 – 20 cm dicken Schüttungen auf ein darunter liegendes Kunststoffgewebe nappiert. Diese Polypropylenfolie soll Unkräuter und Wurzelschösslingen die Ansiedlung erschweren und ein Durchwurzeln verunmöglichen. Vereinzelt hineingeschnittene Schlitze bieten Raum für grotesk deformierte Koniferen in Pompon- oder Fusilliform und andere Spottgewächse. Eine Einfassung aus akkurat gesetzten Pflanzbetonsteinen nach DIN oder einem Doppelstabmattenzaun mit PVC Sichtschutzlamellen (optional in grau oder mit Kirschlorbeerprint), eine stets verwaiste Sitzbank, die soziales Leben vorgaukelt, erratisch verteiltes Dekogedöns vom Baumarkt – wahlweise Granitstelen, Buddhaplastiken und Laubsägearbeiten aus Cortenstahl mit „Willkommen“-Schriftzug, ausrangierte Fahrräder mit Blumenkorb oder bepflanzte Toilettenschüsseln vervollständigen das Bild. Hier sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Und tatsächlich entfaltet sich die Kreativität der Schottergärtner*innen vor allem in der Art der Dekoration dieser mit Grauwacke, Carrara-Marmor oder Basaltschutt grundierten Flächen. Dies leite ich zumindest aus meinen Erfahrungen in den sozialen Netzwerken ab, in denen ich mich seit nunmehr sieben Jahren erdreiste, private Vorgartengestaltungen einer satirischen Kulturkritik zu unterziehen. Auf meiner Seite „Gärten des Grauens“ („Die erste Gartensatire der Welt!“) ernte ich damit viel Gelächter, aber auch heftige Entrüstung und Sh*tstorms von Seiten Betroffener. Vermutlich war es genau diese Melange aus Wutkommentaren und der Häme vom Gegenlager, die meinen pointierten Gartenanalysen in der Empörungskultur von Facebook und Instagram zu großer Popularität verhalf. Sicher spielte mir auch in die Hände, dass jeder zweite deutsche Haushalt über einen Garten verfügt und somit viele Deutsche zum Thema eine Meinung haben. Und ganz gewiss sorgten meine gesammelten Fotos gärtnerischer Ungeheuerlichkeiten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum für Aufmerksamkeit. Sie ahnen gar nicht, was es da alles gibt.
Der Schottergarten spaltet die Nation. Die von Verbotskultur Gepeinigten sehen in dessen Ächtung einmal mehr ihre persönliche Freiheit in Gefahr. Es sei doch vor allem eine Frage des persönlichen Geschmacks und jeder könne doch auf seinem eigenen Grund und Boden tun und lassen, was er wolle. Entgegnet man diesem Argument mit Artikel 14 GG (Eigentum verpflichtet … zum Wohle der Allgemeinheit, und so), so folgen Whataboutismen wie: hinterm Haus sei es ja alles schön grün und Bund, Länder und Kommunen versiegelten ja ohnehin viel größere Flächen mit Straßen oder Windrädern. Zu guter Letzt kommt das ganz besonders perfide Argument, ein pflegeleichter Schottergarten sei insbesondere für ältere und/oder körperlich eingeschränkte Menschen eine praktische Lösung. Warum das perfide ist? Ich komme darauf zurück.
Den fragwürdigen Argumenten für einen Schottergarten stehen eine Fülle von wissenschaftlichen Erkenntnissen gegenüber. Die Negativeinflüsse von weitgehend vegetationsfreien Geröllhalden auf Ökologie und Artenvielfalt, auf Bodenorganismen, Wasserhaushalt, urbanes Mikroklima, Luftreinhaltung, menschliches Wohlbefinden und sogar Gesundheit sind mittlerweile vielfach untersucht und belegt. Versuchen wir uns an einer Zusammenfassung der wichtigsten Argumente:
Dem Vorgarten fällt in Deutschland eine ganz besondere Rolle zu: er gilt als Aushängeschild eines Haushaltes, sodass hier ganz besonders Wert darauf gelegt wird, dem öffentlichen Auge geordnete Verhältnisse zu suggerieren. In einem homogenen Grau in Grau findet Unkraut allerdings weit weniger Akzeptanz, als in einer naturnahen Pflanzung. Die Biologie kennt keine sterilen Flächen auf unserem Planeten. Selbst frische Lavafelder werden erstaunlich schnell wiederbesiedelt. Durch Herbstlaub und Anflugsaat verkrautet auch ein Schottergarten mit Unkrautvlies binnen weniger Jahre. Wer dem vermeintlich psychosozialen Druck, einen sauberen Vorgarten vorweisen zu müssen, physisch nicht standhält, der greift für solchen Flächen zu Herbiziden. In Deutschland werden jährlich allein 100 Tonnen Glyphosat in Privatgärten versprüht - ein Gros davon sicher auch und insbesondere in Schottergärten. Wer kniet schon gern auf scharfkantigem Gesteinsschutt und zupft Unkraut? Das Ausbringen von Herbiziden ist aber lediglich auf gärtnerischen Nutzflächen erlaubt (Gemüsegarten). Glyphosat & Co. bedürfen eines lebendigen Bodens, um biologisch abgebaut werden zu können. Ein lebendiger Boden wird im Schottergarten aber gerade vermieden.
Der Spiegel gab im Januar 2023 unter der Headline „Parks statt Psychopharmaka“ zu Protokoll, dass ein lebendiges, naturnahes Umfeld für ein ausgewogeneres Mikroklima, für saubere Luft und geringere Lärmbelästigung sorgt und so die Körperfunktionen, das Immunsystem und nicht zuletzt die Psyche stärkt (https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/psychologie-parks-statt-psychopharmaka-wie-die-natur-auf-den-menschen-wirkt-a-ce8aa811-9af4-4784-bd9e-99722bc514fe). Eine dänische Studie von 2019 stellt fest, dass Kinder, die mit vielen Grünflächen, Gärten, Parks und Wiesen im unmittelbaren Wohnumfeld aufwachsen, im Alter seltener psychisch erkranken (https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1807504116).
Im Sonnenschein heizen sich Schottergärten auf über +60 °C auf und strahlen diese Wärme nachts wieder ab (https://www.meco.lu/de/blog/documentcenter/es-ist-heisss-in-luxemburg/). Eine Abkühlung findet bei Hitzewellen kaum mehr statt. Die Tagesschau wusste 2020 zu berichten, dass Deutschland mit jährlich 20.200 Hitzetoten über 65 Jahren (Stand 2018) nach den zwei bevölkerungsreichsten Ländern China und Indien, weltweit an dritter Stelle hitzebedingter Sterblichkeit liegt. Ergo: Wer gesundheitlich eingeschränkten, alten Menschen zu einem vermeintlich pflegeleichten Schottergarten rät, der nimmt damit billigend in Kauf, dass diese sich und ihr Umfeld mit krebsverdächtigen Herbiziden vergiften, Depressionen entwickeln und im Hochsommer den Hitzetod sterben. Anbetracht der Überalterung unserer Gesellschaft ließe sich auch satirisch resümieren: Der demografische Wandel kann nicht warten – gebt Alten einen Schottergarten!
Neben all diesen guten Argumenten gegen plastikunterfütterte Gärten in Muren-Optik habe ich das bedeutendste bisher nur am Rande erwähnt: Es ist der Verlust unserer Biodiversität. Eine Studie zur Artenvielfalt von Schmetterlingen in München offenbarte Überraschendes. Sie ergab, dass die Diversität der Schmetterlinge vom Stadtzentrum zum Stadtrand hin stetig ansteigt. Die Kurve der Artenzahl stürzt aber ins Bodenlose, sobald man das ländliche Umfeld Münchens untersucht (J. H. Reichholf et al.). Unsere intensive Landwirtschaft mit ihrem Düngeeinsatz, ihren Monokulturen, der Flurbereinigung und ihrem Versprühen hocheffizienter Pestizide haben unsere Städte und Kommunen paradoxerweise zu Inseln der Artenvielfalt werden lassen. Gärten im urbanen Raum fällt in einer solchen Welt eine ganz besondere Rolle als eine der letzten Bühnen des Lebens zu. Man muss es schon als verantwortungslosen Frevel begreifen, diese Flächen ohne Not der Natur auch noch vorzuenthalten.
Unseren Ahnen galt es als selbstverständlich den Nachkommen eine fruchtbarere Scholle zu hinterlassen, als die, die man selbst vorfand. Jahrzehntelanger Eintrag von Kompost und eine behutsame Bodenpflege zeitigten Erfolge. Doch statt wie einst die Krume zwecks besserer Bearbeitbarkeit von Gestein zu befreien und Lesesteinhaufen anzulegen, werden Gärten heute vorsätzlich großflächig gesteinigt und über Jahre vergiftet. Die Natur ist hier ein Störenfried. Seinen Erben und kommenden Generationen hinterlässt man lediglich das Schlachtfeld des eigenen, Jahrzehnte währenden Kampfes gegen die Natur. Wer einen solchen Garten renaturieren möchte, der muss zunächst viel Geld für die Entsorgung dieser Hinterlassenschaften aufbringen. Schotter, Unkrautvlies und daran haftendes Erdreich gelten als Baumischabfall und können nur selten unter 300 € pro Tonne entsorgt werden. Die Reste werden nicht recycelt. Sie müssen deponiert werden. Der über Jahre mit Plastik gleichsam laminierte Boden darunter, ohne Wurzelkanäle oder Wurm- und Insektengänge eher Beton ähnlich, braucht Jahre, um zu alter Lebendigkeit zurückzufinden, will man ihn nicht auch noch für teures Geld austauschen.
Neben dieser finanziellen Belastung kommender Generationen enthalten wir unseren Kindern auch wichtige Reize für eine gesunde kognitive Entwicklung vor. Kindern, die nie die Gelegenheit hatten, Schneckenrennen zu veranstalten, stridulierende Heuschrecken zu beobachten oder das Wunder Metamorphose eines Schmetterlings zu bestaunen, wird es schwerfallen, einen Bezug zu ihrer belebten Mitwelt aufzubauen. Sie werden kaum verstehen, was uns gerade verloren geht und was es so dringend zu erhalten gilt. Die Erfahrung von Vielfalt und Fülle wird diese Generation nur noch über Instagram und TikTok machen können. Ich hoffe, Sie können meiner Aussage jetzt zumindest im Ansatz folgen, wenn ich konstatiere: Schottergärten sind generationsübergreifend asozial.
Wer jetzt immer noch nicht überzeugt ist, dass Schottergärten die größte gartenbauliche Verirrung aller Zeiten sind, dem hilft hoffentlich ein Schlag auf den Hinterkopf mit einer unserer 16 Landesbauordnungen. In ihnen heißt es unisono, dass die nicht bebauten Grundstücksflächen „begrünt oder bepflanzt“ werden müssen. Kurz gesagt: Gärten müssen Grünflächen sein. Die zentrale Feststellung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg in Bezug auf Schottergärten vom Januar 2023 lautet dann auch: „Wesentliches Merkmal einer Grünfläche ist der ‚grüne Charakter‛“. Mir bleibt nur zu hoffen, dass nicht nur Juristinnen und Juristen einen solchen Satz normal finden. Schottergärten sind Schwarzbauten. Das Urteil ist unanfechtbar.
Mit meiner Initiative „Gärten des Grauens“ habe ich nie für Verbote gekämpft. Mein Auftritt in den sozialen Medien war stets nur der Versuch, diesen desaströsen Gartentrend mit Mitteln des Humors und der Satire gesellschaftlich unmöglich zu machen. Beschämung, statt Verbote. Meinem Ziel bin ich über die Jahre überraschend nah gekommen, sodass der Titel meiner Bücher „Gärten des Grauens“ in den Medien längst schon als Synonym für Schottergärten geführt wird. Mit verschiedenen Mitteln gehen Gemeinden und Länder mittlerweile in ganz Deutschland gegen diesen Gartentrend vor – sei es durch finanzielle Anreize zur Umgestaltung, oder schlicht durch Verbote. Mein Vorkämpfer, der Journalist Dieter Wieland („Grün kaputt“), formulierte es einmal so: Wir sollten im Umweltschutz nicht von Verboten sprechen. Das Wort Spielregeln träfe es besser – „ökologische Spielregeln“, nach denen wir uns aus logischen Erwägungen zu richten hätten. Wird beim Fußball die Rote Karten gezogen, dann riefe ja auch niemand „Verbotskultur“. Spielregeln würden eher akzeptiert, als Verbote. Ich stimme Herrn Wieland in diesem Punkt vorbehaltlos zu.
Es bleibt die offene Frage, was Menschen dazu bewegt, sich solch sklerotisierte Flächen anzulegen. Ob es die Angst vor Veränderung ist, oder die Sorge vor Kontrollverlust in einer unübersichtlich erscheinenden Welt? Ob es die Ablehnung der im Deutschen mit dem Wort „GartenARBEIT“ negativ konnotierten Beschäftigung im Garten ist, oder gar die Entfremdung von der Natur selbst? Als Biologe möchte ich mir darüber kein Urteil erlauben. Ich habe nur einen Rat:
In meiner Lerngruppe während meines Biologiestudiums an der Goethe-Universität Frankfurt am Main hatten wir seinerzeit ein Kredo, welches ich längst zu meinem Lebensmotto gemacht habe. Es lautet schlicht: „Sage JA zum Leben“. Tu alles, was ihm förderlich ist und unterlasse, was ihm schadet!
Herzlichen Dank
und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht Euch
Euer Sinnfluencer Ulf Soltau von GdG
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Text nachzulesen im Jahresheft des Palmengartens 2024, FFM.
Foto: Sebastian Wischmann