13/07/2024
Warum sich Hundebisse immer mehr häufen - Und warum aversives Training dagegen helfen kann
Gemäss den neuesten Statistiken häufen sich Beissvorfälle in der Schweiz immer mehr. Die Meinungen in der Szene dazu gehen auseinander, wie immer, wenn es um Hunde geht. Es gibt Stimmen, die einen Zusammenhang zwischen Beissvorfällen und aversiven Trainingsmethoden sehen und dazu empirische Daten, sprich wissenschaftliche Studien heranziehen. Wichtig ist zu verstehen, was aversive Trainingsmethoden sind. Aversiv ist nicht gleichzusetzen mit Gewalt am Hund. Eine kurze Erklärung zu aversivem und positivem Hundetraining gibt es hier:
https://www.edogcation.ch/_files/ugd/b4f2f1_3ccde7dd25b24cecbdfe793675855efd.pdf
In unserer täglichen Arbeit mit sogenannten Problemhunden, respektive Hunden, die ein ausgeprägtes Aggressionsverhalten zeigen, stellen wir in der Regel fest, dass diese Hunde in ihrer Vergangenheit wenig bis gar nicht mit gewaltsamen Trainingsmethoden in Berührung gekommen sind. Sprich, es handelt sich bei fast allen Problemhunden, die bei uns landen, nicht um misshandelte Hunde, die brutal erzogen oder trainiert wurden. Wir stellen fest, dass die Ursachen für problematisches Verhalten, das im schlimmsten Fall zur Bissverletzung führen kann, auf eine Kombination von verschiedenen Faktoren zurückgeführt werden kann.
Unzureichende Sozialisierung und Gewöhnung:
Unzureichende Sozialisierung beim Hund bezieht sich auf den Mangel an angemessener und vielfältiger Interaktion mit anderen Hunden, Menschen und Umweltreizen während der kritischen Sozialisierungsphase und darüber hinaus.
Überforderung der Halter:
Viele Hundehalter sind nicht ausreichend informiert oder vorbereitet, um Verhaltensprobleme ihrer Hunde überhaupt frühzeitig zu erkennen und adäquat damit umzugehen. Dies kann zu einer falschen oder inkonsistenten Erziehung führen, was problematisches Verhalten wiederum begünstigt.
Unzureichende Grenzsetzung:
Hunde, die nicht oder nur mit positiver Verstärkung erzogen werden, ohne klare Grenzen und Konsequenzen für unerwünschtes Verhalten zu erfahren, fehlt es an Handlungssicherheit. Dadurch können sie Verhaltensweisen entwickeln, die gefährlich werden können.
Missverständnisse und Missbrauch von positiver Verstärkung:
Positive Verstärkung erfordert konsistentes und korrektes Timing. Fehlinterpretationen oder falsche Anwendungen dieser Methode können dazu führen, dass Hunde unerwünschtes Verhalten verstärken, weil sie die Belohnung falsch verknüpfen.
Mangelnde Kontrolle und Führung in kritischen Situationen:
In einigen Situationen kann es notwendig sein, dass der Halter unmittelbar und klar eingreift. Ausschliesslich positive Verstärkung kann in solchen Momenten unzureichend sein, um gefährliches Verhalten zu kontrollieren.
Die Zunahme an Problemhunden und Beissvorfällen kann also auf eine Kombination von verschiedenen Faktoren zurückgeführt werden, darunter fehlende Ausbildung der Halter, unzureichende Erziehungsmethoden und mangelhafte Sozialisierung und Gewöhnung. Das Ziel sollte sein, dass Hundehalter gut informiert und vorbereitet sind, um ihren Hunden eine verbindliche und klare Erziehung zu bieten, die sowohl positive Verstärkung als auch angemessene Grenzen, Korrekturen und Konsequenzen für unerwünschtes Verhalten umfasst.
Positive Verstärkung ist eine sehr effektive Methode zur Förderung von wünschenswertem Verhalten. Es gibt aber durchaus Situationen, wo diese Methode an Grenzen stösst, wie folgende Beispiele erläutern.
Unzureichende Reaktion auf gefährliches Verhalten:
In Situationen, in denen Hunde sofortiges und klares Feedback benötigen, wie zum Beispiel bei gefährdendem, aggressivem Verhalten, kann allein die positive Verstärkung nicht ausreichen. Hier kann die Notwendigkeit bestehen, auch negative Konsequenzen zu integrieren, um das Verhalten effektiv zu unterbrechen und korrigieren.
Verhaltenskorrektur und Grenzsetzung:
Positive Verstärkung allein kann Schwierigkeiten haben, unerwünschtes Verhalten zu korrigieren, wenn es keine klaren Grenzen gibt. Das Setzen von physischen und sozialen Grenzen hilft, den Hunden klare Regeln zu geben, die durch beständige positive und negative Verstärkung unterstützt werden können.
Es gibt einige neuere Studien, die die positiven Aspekte von aversivem Hundetraining hervorheben und betonen, dass nicht alle Verhaltensprobleme mit positiver Verstärkung gelöst werden können.
Padtberg (2013)
Die Studie von Padtberg untersuchte die Anwendung aversiver Trainingsmethoden und deren Auswirkungen auf das Verhalten und das Wohlbefinden von Hunden. Padtberg fand heraus, dass aversive Methoden wie positive Bestrafung und negative Verstärkung in bestimmten Situationen, insbesondere bei schwerwiegenden Verhaltensproblemen, effektiv sein können. Die Studie betont jedoch die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen und ethischen Einsatzes dieser Methoden, um das Risiko von erhöhtem Stress und Angst bei Hunden zu minimieren. Es wurde auch festgestellt, dass der Erfolg dieser Methoden stark von der korrekten Anwendung abhängt.
Marschark und Baenninger (2002)
Diese Studie untersuchte das Training von Hütehunden und fand heraus, dass positive Verstärkung allein oft nicht ausreicht, um instinktives Verhalten wie Hüten oder Jagen zu kontrollieren. Negative Verstärkung und Bestrafung waren notwendige Ergänzungen, um gewünschtes Verhalten zuverlässig zu formen.
Vieira de Castro et al. (2020)
Diese Studie fand heraus, dass Hunde, die ausschliesslich mit positiver Verstärkung trainiert wurden, in Situationen, in denen sie keine Belohnung erhielten, Frustrationsverhalten zeigten. Dies deutet darauf hin, dass Hunde, die nur auf Belohnungen konditioniert sind, Schwierigkeiten haben können, mit dem Ausbleiben von Belohnungen umzugehen und weniger tolerant gegenüber Frust sind, was wiederum problematisches Verhalten fördern kann.
Psychology Today (2023)
Eine Studie in Porto, Portugal, zeigte, dass Hunde, die mit rein positiver Verstärkung trainiert wurden, in Situationen mit hoher Ablenkung oder bei stark instinktivem Verhalten Schwierigkeiten hatten, die gewünschten Signale zu befolgen. Dies deutet darauf hin, dass positive Verstärkung in bestimmten Kontexten ihre Wirksamkeit verlieren kann.
Ziv, G. (2017)
Diese Überprüfung von 17 Studien zeigte, dass aversive Trainingsmethoden, wie positive Bestrafung und negative Verstärkung, in bestimmten Kontexten effektiv sein können, um unerwünschtes Verhalten zu korrigieren. Während positive Bestrafung kurzfristig wirksam sein kann, wird darauf hingewiesen, dass diese Methoden verantwortungsvoll und ethisch angewendet werden müssen, um Stress und Angst bei Hunden zu minimieren.
Diese Studien zeigen, dass aversive Methoden in bestimmten Situationen notwendig sein können, insbesondere wenn sofortiges und klares Feedback erforderlich ist, um gefährliches, gefährdendes Verhalten zu kontrollieren. Die meisten Forscher betonen mit Recht die Notwendigkeit, solche Methoden verantwortungsvoll und in begrenzten Kontexten anzuwenden, um das Wohlbefinden der Hunde nicht zu gefährden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass beide Trainingsmethoden, positiv und aversiv, richtig und mit Feingefühl angewendet, wichtig sind, um das Verhalten von Hunden langfristig positiv zu beeinflussen und gefährliches Verhalten zu regulieren.
Insbesondere im Umgang mit Problemhunden sollte man sich jedoch über zwei Dinge bewusst sein: Schwerwiegende Probleme, respektive ausgeprägtes Aggressionsverhalten, welches uns heute mit Familienhunden begegnet, ist in der Regel nicht auf aversive Trainingsmethoden zurückzuführen. Der Weg aus den Verhaltensproblemen heraus führt aber unter anderem eben gerade über aversive Trainingsmethoden, welche verantwortungsvoll und ethisch korrekt angewendet werden und keinesfalls mit Gewalt am Hund gleichgesetzt werden dürfen.
Gabriela Frei Gees, eDOGcation