22/03/2022
Parchim | Ist das weich! Am liebsten möchte man viel mehr als nur die Hände in das Fell vergraben. „Aber: Was riechen sie?“, fragt Christopher Tramm geradezu fordernd. Ja was? Ganz leicht riecht es nach Schaf – es ist ja auch ein Schaffell. Oder will er jetzt Lanolin hören, den Begriff für das Wollwachs der Schafe, das vielen pflegenden Kosmetikprodukten zugesetzt wird? Der junge Fellgerber kann offenbar mit beidem leben, so lange die Antwort darauf hinausläuft, dass es ein ganz natürlicher Geruch ist.
„Ich hatte gerade Kunden, die wegen genau dieses Geruchs ein Schaffell zurückgehen lassen haben“, löst Christopher Tramm schließlich selbst auf, warum ihm die olfaktorische Wahrnehmung so wichtig ist. Die Reklamation ärgert ihn offenkundig. „In unseren Fellen finden Sie keine Weichmacher, Formaldehyde oder Perchlorethylen, die in Verdacht stehen, Krebs zu erregen“, erklärt er – und dass sie sich darin ganz wesentlich von meist aus Asien eingeführter Massenware unterscheiden, die beispielsweise große Möbelhausketten im Angebot haben.
In Ziegendorf gegerbte Schaffelle sind frei von krebserregenden Stoffen. Volker Bohlmann
In Ziegendorf gegerbte Schaffelle sind frei von krebserregenden Stoffen.
Christopher Tramm möchte etwas dagegensetzen, eben weil es immer mehr Menschen wichtig ist, womit sie sich umgeben – und woher die Produkte stammen. „Was wir hier machen, ist made in MV“, erklärt der Inhaber der Fell-Ge**erei Tramm in Ziegendorf (Landkreis Ludwigslust-Parchim). Er arbeite mit regionalen Schlachthöfen zusammen, „auch, um der idiotischen Wegschmeißmentalität etwas entgegenzusetzen“.
Traum vom eigenen Hofladen für Schaffelle
Denn im Regelfall würden die Felle als Schlachtabfälle entsorgt, „teuer verbrannt“, konkretisiert Christopher Tramm. Er selbst träumt von einem eigenen Hofladen, in dem er seine Schaffelle anbieten kann. Auf der nächsten Mela, der Mecklenburgischen Landwirtschaftsausstellung in Mühlengeez bei Güstrow, will er dafür mit einem eigenen Verkaufsstand werben. Langsam wachsen dafür in seinen Betriebsräumen am Rande von Ziegendorf die Fellstapel. Über das Internet oder über Zwischenhändler, die die Schaffelle in Kommission vertreiben, läuft das Geschäft aber auch jetzt schon an.
Lohngerberei macht zurzeit 95 Prozent des Umsatzes von Christopher Tramm aus Volker Bohlmann
Lohngerberei macht zurzeit 95 Prozent des Umsatzes von Christopher Tramm aus
Dennoch sind die Schaffelle genau genommen nur ein Nischengeschäft. „95 Prozent macht Lohngerberei aus“, erklärt der 31-Jährige, der mit seinem ebenso ungewöhnlichen wie seltenen Handwerk in die Fußstapfen seines Großvaters Horst Haubold tritt. Der hatte nach der Wende in Plau Appelburg eine Fellgerberei aufgebaut und bei seinem Enkel, der in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist, hier aber einen Großteil seiner Ferien verbrachte, das Interesse am Beruf geweckt. Gelernt habe er bis 2010 in einer Leder-Ge**erei in Vlotho, erzählt Christopher Tramm und erklärt dann, dass auch Ledergerbereien als Handwerksbetriebe selten seien, Fellgerbereien aber seien es noch viel mehr.
Ein vom Aussterben bedrohtes Handwerk
Aktuell gebe es die nächstgelegene zwar „schon“ in Lübeck, ansonsten müsse man aber mehrere hundert Kilometer fahren, um einen derartigen Betrieb zu finden. Bundesweit arbeiten noch ungefähr 25 Fellgerber. „Man kann schon sagen, dass wir Fellmacher vom Aussterben bedroht sind", meint der junge Mann, der 2017 die Ge**erei des Großvaters übernahm und seither ausbaute. 2019 zog er damit auf das Gelände einer früheren Tischlerei nach Ziegendorf um.
Dort seien die Nachbarn anfangs skeptisch gewesen, weiß er – auch das habe in erster Linie mit der Seltenheit seines Gewerbes zu tun, von dem viele gar keine und andere falsche Vorstellungen hätten. Vor allem Geruchsbelästigung und eine Verunreinigung des Grundwassers hatten die Dorfbewohner befürchtet. Würde er nicht auf biologisch abbaubare Gerb-Hilfsmittel setzen, hätte er gar keine Betriebserlaubnis für den Standort bekommen. „Und stinken tut es nur in Ledergerbereien, in denen mit Schwefel gearbeitet wird, um die Haare zu entfernen“, betont der Ge**er. Letztlich hätte die Dorfbewohner aber vor allem eins überzeugt: „Wir wohnen selbst hier auf dem Gelände."
Mitarbeiter Silvio Martz entfernt mit einer Dünnschneidemaschine Fett und Unterhautgewebe von den Tierfellen. Volker Bohlmann
Mitarbeiter Silvio Martz entfernt mit einer Dünnschneidemaschine Fett und Unterhautgewebe von den Tierfellen.
Wir, das sind Christopher Tramm und seine Ehefrau Nadine, die als Krankenschwester in einer Klinik arbeitet, dennoch aber in der Ge**erei mit anpackt, wann immer sie Zeit dafür findet. Ihr Mann würde zu seinem einzigen Angestellten gern noch einen weiteren einstellen, findet aber niemanden, der zu körperlicher Arbeit bereit ist.
40 Arbeitsschritte für ein einziges Fell
Bis zu 40 unterschiedliche Arbeitsschritte sind erforderlich, um Wildschweinschwarten, Felle oder Bälge zu gerben. Angefangen von der Grobreinigung über ein Säurebad, das sogenannte Pickeln, über das eigentliche Gerben bis zum Informbringen und Trocknen – entweder hängend oder auf Spannrahmen –, Wildware wird zudem in Sägespänen geläutert, also quasi weichgeklopft, danach müssen die Späne wieder herausgeschüttelt werden. Schließlich wird alles in Form gebracht, dabei wo möglich und nötig Risse oder Schnitte geschlossen.
Nadine Tramm befüllt eine Trommel mit Fellen, die in einer Lauge aus Salz, Wasser und Alaun gegerbt werden. Volker Bohlmann
Nadine Tramm befüllt eine Trommel mit Fellen, die in einer Lauge aus Salz, Wasser und Alaun gegerbt werden.
Auch wenn vieles in großen Edelstahlbehältern oder Zentrifugen passiert – der Energieverbrauch ist gewaltig und macht Christopher Tramm momentan besondere Sorgen. „Für ein einziges Schaffell brauche ich 200 Liter warmes Wasser, um vor der Weiterverarbeitung das ganze Wollfett rauszuwaschen“, nennt er nur ein Beispiel. Und auch bei anderen Tierarten geht es nicht ohne viel Wasser, denn nur was wirklich sauber ist, kann auch weich gegerbt werden: „Viele bringen zum Beispiel mehr oder weniger schwarze Wildschweinschwarten zu uns, und wenn sie dann ein fast blondes Fell wieder zurückbekommen, dann sagt der eine oder andere schon mal: Aber das ist doch gar nicht meins“, erzählt der Ge**er. Doch Verwechslungen seien ausgeschlossen, jedes Stück werde sofort nach dem Eintreffen mit einer Nummer versehen, die erst entfernt wird, wenn die Ware wieder abgeholt oder versandt wird.
Kunden sind überwiegend Jäger und Präparatoren
Die Kunden der Fell-Geberei Tramm sind meist Jäger, mitunter aber auch Präparatoren, die die Arbeiten in Auftrag geben. Dabei reicht das Spektrum von heimischen Tieren wie Fuchs, Dachs, Waschbär, Wildschwein oder Reh über Nutztiere wie Rind oder Schaf bis zu Murmeltier oder Gams. Auch den Wolf findet man auf der Preisliste, „aber da möchte ich bitte vorher die Abschussgenehmigung sehen“, betont der Ge**er. Gleiches gelte für geschützte Arten, „ohne Herkunftsnachweis geht da gar nichts“.
Doch so einen Nachweis können viele Kunden tatsächlich vorweisen, und so finden sich in den Edelstahlbottichen und Zentrifugen auch Zebrafelle oder solche von Alpakas, Büffeln... „Unser exotischstes Stück war das Fell eines Schneeleoparden“, verrät Christopher Tramm, „das war sogar ein Staatsauftrag, aus Pakistan“. Auch ein Seehundsfell hat er schon aufgearbeitet. In den letzten Monaten waren aber besonders Dachsfelle gefragt. „Da lassen sich die Leute Einlegesohlen draus machen, angeblich fördert das die Durchblutung und hilft gegen brennende Fußsohlen."
Dank der Kennzeichnung mit Nummern erhält jeder Kunde 'sein Wildschwein' zurück. Volker Bohlmann
Dank der Kennzeichnung mit Nummern erhält jeder Kunde "sein Wildschwein" zurück.
Viele von Tramms Kunden kommen aus dem Ausland, vor allem aus Nordeuropa. „In Dänemark, aber zum Beispiel auch in Holland gibt es gar keine Fellgerbereien“, weiß der junge Mann. Die Rohware kommt bei ihm dann auf dem Postweg an, gefroren, gesalzen oder getrocknet. Bis das fertige Fell zurückgeschickt werden kann, vergehen dann wenigstens drei, nicht selten aber auch noch etliche Monate mehr.
– Quelle: https://www.svz.de/35929997 ©2022
Es ist ein Handwerk, von dem viele falsche Vorstellungen haben, auch, weil es nur noch so wenige Menschen ausüben. Zu Be