15/05/2024
Isabell Werths Anwalt droht uns mit juristischen Mitteln, sollten wir nicht unseren Podcast offline nehmen. Dabei geht es um einen Bericht in einer schwedischen Tageszeitung. Spolier: Der Podcast ist noch online. Den ganzen Artikel (samt Links) findet Ihr hier:
https://dressur-studien.de/warum-isabell-werth-uns-mit-juristischen-mitteln-droht-david-gegen-goliath/
Foto: Kerkla/istock.com
Warum Isabell Werth uns mit juristischen Mitteln droht: David gegen Goliath:
Die Mail mit dem Betreff âWerth ./. Sandersâ landet um 15.29 Uhr mit einem Pling-GerĂ€usch in meinem Postfach. Absender ist einer der bekanntesten deutschen MedienrechtsanwĂ€lte â und anders als es sein Nachname vermuten lĂ€sst, meint er die Sache wohl ernst: Bis 18 Uhr am selben Tag solle ich eine Folge unseres Podcasts offline stellen, andernfalls drohten juristische Schritte.
Die Mail vom 16. April 2024 ist die Reaktion von Isabell Werth auf unseren Podcast, der am 26. MĂ€rz ausgestrahlt wurde. Unter dem Titel âNach dem Skandal ist vor dem Blaue-Zungen-Skandalâ berichte ich ĂŒber einen Artikel, der in der auflagenstarken schwedischen Boulevardzeitung âAftonbladetâ wenige Tage zuvor erschienen war. Der dĂ€nische Fotograf Crispin Parelius Johannssen hatte bei FEI-Worldcup-Turnieren in NeumĂŒnster und Amsterdam zuvor Fotos geschossen. Auf den von âAftonbladdet verbreiteten Bildern sind drei Pferde mit jeweils blauer Zunge zu erkennen. Die Reiter: Patrick Kittel, Isabell Werth und Charlotte Fry. Die Autorin des schwedischen Artikels bittet die Reiter um eine Stellungnahme. Patrik Kittel spricht von einer Standaufnahme, die kein reprĂ€sentatives Bild des gesamten Rittes zulasse. Charlotte Fry antwortet gar nicht. Isabell Werth möchte sich so lange nicht Ă€uĂern, bevor sie die RAW-Daten der Bilder bekommt. Zur ErklĂ€rung: An den RAW-Daten lĂ€sst sich erkennen, ob die Fotos verĂ€ndert worden sind.
So weit der Stand der Dinge, als ich in unserem Podcast darĂŒber berichte und auch sage, dass ich nicht glaube, dass die Bilder von dem Fotografen gefĂ€lscht worden sind.
Die Herausgabe der Originalbilder lehnt die schwedische Journalistin mit dem groĂen Verlag im RĂŒcken jedoch spĂ€ter ab â aus journalistischer Sicht ĂŒbrigens eine nachvollziehbare Entscheidung. Genauso nachvollziehbar wie der Wunsch von Isabell Werth, die Originaldaten der Bilder zu sehen.
Nachdem die Anwaltsmail hier gelandet ist, recherchiere ich kurz, wer ĂŒberhaupt im deutschsprachigen Raum darĂŒber berichtet hat: Bei der Reiter R***e war ein Artikel online, doch bei Google ist nur noch dessen Ăberschrift sichtbar. Beim Klick auf den Link öffnet sich eine Fehlerseite, der Bericht ist also offenbar offline genommen worden â nur ein kurioser Zufall?
Bis vor Kurzem abrufbar, nun aber auch verschwunden, ist ein Bericht beim St. Georg: Dort wird darĂŒber nachgedacht, ob und wenn ja welche Blautöne der fotografierten Zungen realistisch sind. Zum Vergleich werden die Fotos in unterschiedlichen Blautönen gezeigt. Im St. Georg wie auch im schwedischen Aftonbladet ist nachzulesen, dass der Fotograf Crispin Parelius Johannssen sein tĂ€gliches Geld nicht mit Sportveranstaltungen verdient. Im Gegenteil: Wenn er bei diesen Veranstaltungen anwesend ist, wird er offenbar eher von Stewards an den Rand gedrĂ€ngt, weil bekannt ist, dass er auch die unschönen Bilder zeigt â im Gegensatz zu den meisten Fotografen, die sich auf Turnierfotos spezialisiert haben. Nach dem Lesen des Berichts im St. Georg bleibt bei mir der Eindruck zurĂŒck, dass es â50 Shades of Blueâ von Pferdezungen gibt, die diskutiert werden. Warum der Artikel nicht mehr abrufbar ist? Möglich, dass auch in Hamburg ein Brief vom Berliner Promi-Anwalt gelandet ist? Ăbrigens: Auch der damals dazu veröffentlichte Kommentar ist nicht mehr abrufbar.
Doch jetzt muss eine Entscheidung zum Anwaltsschreiben her: Nehme ich unseren Podcast offline, dann wĂ€re die Angelegenheit vermutlich erst einmal erledigt. Allerdings: Es ist gut möglich, dass ich von Isabell Werths Anwalt eine Rechnung erhalte. Da können schnell knapp 1.000 Euro zusammenkommen. 1.000 Euro sind fĂŒr mich als âEin-Frau-Verlagâ eine Menge Geld. Trotzdem regt sich das Widerstands-Gen in mir: Ich habe nach bestem Wissen berichtet, auch der Position von Isabell Werth im Podcast ausreichend Platz eingerĂ€umt, sogar noch VerstĂ€ndnis dafĂŒr geĂ€uĂert, dass sie die Originaldaten sehen will.
Also greife ich zum Telefonhörer und rufe den Kölner Medienrechtsanwalt Markus Kompa an. Der schnaubt empört, als ich ihm von der knappen Frist von zweieinhalb Stunden erzĂ€hle. Trotzdem landet beim Berliner Rechtsanwalt pĂŒnktlich unsere ErklĂ€rung: Der Podcast bleibt online. Als Antwort folgt eine Mail von der Gegenseite, die erstaunlich wenig fachspezifische juristische Formulierungen enthĂ€lt, dafĂŒr aber mit dem Hinweis versehen ist, dass Markus Kompa mir doch bitte erklĂ€ren soll, wie teuer das alles werden kann. Wir bleiben bei unserer Position, der Podcast ist weiterhin hörbar. Jetzt heiĂt es abwarten, denn je nach Gericht hat Isabell Werths Anwalt nun ein bis drei Monate Zeit, um tatsĂ€chlich eine Klage einzureichen â eine UnterlassungserklĂ€rung verlangte er ĂŒbrigens nicht.
Wenige Tage spĂ€ter: Die SĂŒddeutsche Zeitung veröffentlicht ein Interview mit Isabell Werth (leider hinter einer Bezahlschranke). GefĂŒhrt wird es von Gabriele Pochhammer, der Herausgeberin des St. Georg. Interviewort: Riad, wo gerade das FEI Worldcup-Finale ausgetragen wird. Die Journalistin fragt die Dressurreiterin auch nach den in der schwedischen Tageszeitung Aftonbladet veröffentlichten Bildern. Isabell Werths Antwort: âDie Bilder sind manipuliert. Quantaz hatte weder eine blaue noch eine dunkelblaue Zunge, das hat auch die anschlieĂende offizielle Gebisskontrolle gezeigt. Ich habe einen Anwalt damit beauftragt, gegen diese Berichterstattung rechtliche Schritte einzuleiten, da es sich um falsche Tatsachenbehauptungen handelt. Das Ziel ist es, den Artikel offline zu stellen.â
Wobei aus meiner Sicht noch einige Fragen offenbleiben: Kann ein Reiter auf dem PferderĂŒcken ĂŒberhaupt die Pferdezunge sehen? Kann der Steward eine blaue Zunge vielleicht deshalb nicht erkennen, weil, wenn der Druck mit dem Gebiss aufhört, das Blut wieder ungehindert flieĂen und die Zunge so schnell wieder eine normale Farbe annehmen kann? Und wĂŒrde ein Steward zu Isabell Werth sagen: Sorry, Ihr Pferd hat eine blaue Zunge, da mĂŒssen Sie disqualifiziert werden?
Beim FEI Worldcup-Finale erreicht Isabell Werth mit dem 14-jĂ€hrigen Quantaz den dritten Platz. Auf Platz zwei ist Nanna Skodborg Merrald, den ersten Platz sichert sich Patrik Kittel. Mit TrĂ€nen in den Augen nimmt er den Preis entgegen. WĂ€hrend der Siegerehrung streckt sein Pferd Touchdown fĂŒr Sekunden die Zunge seitlich zum Maul heraus. Mein Reitlehrer (nicht nur) in Kindertagen hĂ€tte mich fĂŒr eine solche harte Hand vom Pferd geholt. In FEI-Gefilden bleibt das hingegen eine unkommentierte Pferde-Reaktion.
WĂ€hrend ich noch etwas unglĂ€ubig die Aufzeichnung der Siegerehrung verfolge, höre ich wieder das Pling meines Mailpostfachs. Markus Kompa leitet mir ein neues Schreiben von Isabell Werths Anwalt weiter mit der Bemerkung: âEr gibt nicht auf.â Zum dritten Mal werde ich aufgefordert, den Podcast offline zu stellen, sonst gehe die Sache vor Gericht. Bis zum 2. Mai, 18 Uhr, darf ich mich entscheiden. Ich seufze und trauere einen Moment den knapp 1.000 Euro nach, die das vorgerichtliche GeplĂ€nkel mit Isabell Werths Anwalt bisher gekostet hat. Die Antwort an meinen Anwalt ist dennoch kurz und knapp: âWir geben auch nicht auf.â
Markus Kompa formuliert also ein weiteres âAbwehrschreibenâ, Zitat: âWenn Sie einem Gericht etwas vom Pferd erzĂ€hlen möchten, fordere ich Sie hiermit zur Vorlage auch dieses Schreibens auf und erklĂ€re mich hiermit als zustellungsbevollmĂ€chtigt.â
Bisher (Stand 14.05.24) haben wir noch nichts Weiteres gehört. Doch das könnte sich ja noch Àndern. Es bleibt also spannend. (Claudia Sanders)