23/03/2022
Sterbebegleitung - oder auch ein Happy End…
Wenn es für dich unvereinbar klingt, die Wörter Sterbebegleitung und Happy End in einem Satz zu lesen oder du gerade kein zusätzliches Leid mehr ertragen kannst: scroll bitte weiter und mach dir noch einen schönen Tag. Das ist völlig ok. Wenn du allerdings wissen möchtest, wie meine kleine Welt aktuell aussieht und wieso ich ein Happy End erlebe, lies bitte weiter.
Seit ungefähr einer Woche begleite ich meine Hündin Finja beim Sterben. Die Zeit der Sterbebegleitung fängt für mich an dem Tag an, ab dem keine Heilung
mehr möglich ist. Bei uns kam dieser Tag vor knapp einer Woche. Aber hey: alles ist fein. Ich hatte bereits Ende letzten Jahres gedacht, dass sie Weihnachten nicht mehr erleben wird. Meine kleine Kämpferin war da anderer Meinung.. Im Oktober wurde sie aufgrund einer Gebärmutterentzündung operiert und weil sie eh schon in Narkose lag und sich einer ihrer Knoten doof verändert hatte, wurde der eben gleich mit entfernt. Wir reden hier also über eine OP mit einer ca. 15 cm langen Wunde und einer Teilentfernung der Gesäugeleiste, von der eh nach zwei vorherigen OPs im Alter von sechs Jahren, nur noch wenig übrig ist. Wie es eben so bei mir ist, wird der Hund gut gepäppelt, heißt viel gelasert und mit chinesischen Kräutern versorgt. Jedenfalls war sie erstaunlich schnell wieder fit und hat fröhlich weiter gelebt.
Am vorletzten Wochenende, wir waren im Bus unterwegs, weil ich ein Seminar in Hannover gegeben habe, bemerkte ich, dass Finja vorne links schlecht läuft. Ich hatte morgens auf dem Spaziergang beobachtet, dass sie sich auf einer Wiese vertreten hatte. Also habe ich es darauf geschoben und das Bein gelasert. Am Sonntag Nachmittag war das ganze linke Vorderbein angeschwollen und sie hat das Bein geschont. Natürlich hat sie sich trotzdem (oder gerade deswegen?) von allen SeminarteilnehmerInnen kraulen lassen und durfte am Ende noch den Löffel mit dem Dip ablecken. Finni im Glück..
Von Sonntag auf Montag waren wir bei meiner Mama, weil sie 70 geworden ist. Das Bein war immer noch dick und zusätzlich habe ich hinter dem Schulterblatt einen geschwollenen blauen Fleck entdeckt. In den nächsten zwei Tagen ist die Schwellung des Beins etwas zurück gegangen aber die Gewebeveränderung an der Schulter hat sich verändert. Sie war nicht mehr weich sondern ist fest geworden. Gar nicht gut.. So langsam bekam ich eine Vermutung, die die Tierärztin am Donnerstag bestätigte: Ein unfassbar schnell wachsender, etwa handtellergroßer Tumor.. inoperabel, weil er sich vom Schulterblatt bis runter zum Brustbein erstreckt. Da war er also, der Tag, von dem man weiß, dass er irgendwann kommt, man das aber so überhaupt nicht wahrhaben will..
Wir sind mit Schmerzmittel nach Hause gefahren und ich habe einige Tränen vergossen und mein persönliches Umfeld informiert. Dabei habe ich den Entschluss gefasst, dass wir, soweit es für Finja möglich ist, schöne Momente sammeln. Nicht, dass sie die in ihrem Leben nicht gehabt hätte, aber davon kann man einfach nicht genug haben..
Nachts schlafe ich auf dem Sofa, weil sie es trotz Rampe nicht mehr ins Bett schafft. Die Nächte sind unruhig. Spaziergänge finden ab sofort nur noch getrennt statt. Die Lucy freut sich über die wieder gewonnene Schnelligkeit auf dem Spaziergang und Finni kann in ihrem Tempo humpeln.
Freitag morgen dann der Aufbruch zum Spazierstehen mit Finja. Sie steht vor der geöffneten Tür und möchte nicht raus gehen. Sowas gab es noch niemals nie nicht.. Mit ein bisschen Überredungskunst sind wir dann doch noch bis vor die Tür gekommen. Kurz alle Geschäfte erledigen und schon wollte sie wieder rein. Als ich mittags von der Arbeit kam, liegt sie im Flur und neben ihr der Kauartikel, den sie morgens bei der Verabschiedung von mir bekommen hatte. Schon wieder ein: das ist ja noch nie passiert. Ich war ziemlich fertig und habe gedacht, ich müsste sie heute noch erlösen. Nachmittags wollte sie dann doch wieder bei mir sein, so kenne ich sie.. Ich bin traurig und mir andererseits auch total sicher, dass sie mir sagt, wann der richtige Zeitpunkt kommt um sie gehen zu lassen. Jetzt jedenfalls noch nicht, meinte sie.. Wir waren auf der anderen Straßenseite auf der Wiese und sie hat ein paar Leckerchen aufgesammelt. Dieser Ausflug erschöpft sie sehr und sie verschläft den Rest des Tages.
Samstag arbeite ich und nehme die Hunde in ihren komfortabel großen Boxen im Bus mit. Finni darf die Jackentasche einer lieben Kundin Ausräubern und findet das ganz großartig. Ein Waldspaziergang sieht jetzt so aus, dass ich sie aus dem Bus h**e und in den Wald stelle. Sie genießt den frischen Wind und die Gerüche, die ihr in die Nase kommen. Geschirr tragen ist seit ein paar Tagen nicht mehr möglich, da es direkt auf dem Tumor liegend würde. Abends bekommt sie noch eine Lymphdrainage für das Bein.
Am Sonntag kommen ein paar Freunde, die sich von ihr verabschieden wollen. Sie freut sich und humpelt fröhlich in der Wohnung umher.. Beide Hunde liegen heute ungewöhnlich viel und nah beieinander. Der Futternapf steht ab sofort erhöht, damit sie das Bein nicht unnötig viel belasten muss. in der Nacht wirken die Schmerzmittel kaum noch, sie ist sehr unruhig und wir schlafen wenig.
Morgens wird es nach den Medikamenten wieder besser und das Bein ist mittlerweile auch etwas abgeschwollen. Wir schlafen tagsüber viel und legen auf den Laufwegen Teppiche aus, damit sie besser humpeln kann ohne wegzurutschen, denn mittlerweile wird das linke Bein kaum noch belastet. Abends gibt es ein paar Pommes. Normalerweise in der verschlossenen Papppackung, so dass sie es auseinander fleddern kann. Diese Mal in der geöffneten Packung direkt vor die Schnute.
Am nächsten Tag ist es sonnig und wir liegen gemeinsam auf der Terrasse oder nachdem ich sie dorthin getragen habe (frag nicht wie lang meine Arme jetzt sind..) auf der Wiese gegenüber. Wer ES kennt, für den ist undenkbar , dass sie einfach so auf einer öffentlichen Wiese liegt, wo immer was los ist. Ich lasere sie und unterstütze mit naturheilkundlichen Mitteln so gut es eben geht. Die letzte Nacht war aufgrund von hochdosiertem CBD-Öl ruhig.
Heute Morgen ist sie zum Frühstück nicht mehr aufgestanden. Appetit war aber vorhanden und so habe ich sie aus der Hand gefüttert. Während ich hier auf der Terrasse in der Sonne sitze und schreibe, kommt sie und legt sich zu mir.
Die Lucy ist übrigens so wie sonst auch mit ihrer Schwester. Für sie scheint es alles ganz natürlich zu sein. Die geänderten Gewohnheiten sind völlig in Ordnung für sie. Wenn Finja behandelt wird, ist sie ganz nah dabei und geht danach wieder ihrer Wege.
Es sind so besondere Tage, in denen ich Finni genau beobachte und sie mir fast unmerklich sagt, was sie möchte. Ich bin dankbar, diese intensive Zeit der Sterbebegleitung erleben zu dürfen und bin glücklich darüber, dass sie mir die Zeit gibt, mich langsam und Schritt für Schritt zu verabschieden. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch gemeinsam auf dieser Erde bleibt. Was ich aber weiß ist, dass ich, solange sie hier bleiben möchte, ihr schöne Momente ermöglichen werde.
Mein Mäusekind, ich halte das für dich aus. ❤️